Verfolgung in Ägypten

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Bereits vor der Islamisierung im 7. Jahrhundert n. Chr. war der christliche Glaube in der Region die dominierende Religion. Doch mit der Islamisierung ging die Zahl der Christen erheblich zurück. Das islamische Rechtssystem gewährte Juden und Christen, als Anhänger einer "Buchreligion", den Dhimmi-Status. "Dhimmis" waren nicht gleichrangig mit Muslimen, sondern lediglich Schutzbefohlene, die für ihren Status eine Art Schutzsteuer zu zahlen hatten und sich selbstverständlich loyal gegenüber der muslimischen Mehrheit verhalten mussten.

Offiziell gibt es den "Dhimmi"-Status für Christen in Ägypten nicht mehr, jedoch hat sich über die Jahrhunderte hinweg - sowohl bei Christen als auch in Teilen der muslimischen Gesellschaft - diese Klassen-Gesellschaft in das Denken und Handeln der Menschen eingeprägt. Zwar wird Christen innerhalb ihrer Glaubensgruppe ein gewisses Maß an Freiheit zugestanden, doch im öffentlichen Leben wie auch im Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt werden sie benachteiligt. Christen gelten als Bürger 2. Klasse, als geduldete Minderheit und sehen sich häufig selbst auch so.

Kein "arabischer Frühling" für Christen

Ägypten ist die Heimat von annähernd zehn Millionen Christen – doch die gegenwärtige massive Emigration von Christen gibt Anlass zur Sorge. Zwischen der muslimischen Bevölkerungsmehrheit und der großen christlichen Minderheit existieren seit jeher Spannungen, doch in jüngster Zeit scheinen diese wie auch die herrschende Verfolgung von Christen sich zu verstärken.


Im Oktober 2011 geriet das Land in die Schlagzeilen, als es vor dem Kairoer Maspero Gebäude zu einem Massaker an 26 koptischen Christen kam, die friedlich demonstrierten. Hunderte wurden dabei verletzt. Bei diesem blutigen Ereignis unternahm das Militär nichts, um die angegriffenen Christen zu schützen, sondern beteiligte sich stattdessen an den Tötungen. Man kann bei dieser Tragödie kaum von einem isolierten Ereignis sprechen, sondern muss es vielmehr als Teil eines Negativ-Trends betrachten, der mit dem Selbstmordanschlag vor der Al-Qiddissine-Kirche in Alexandria am Neujahrsmorgen des Jahres 2011 begann. Bei dem Anschlag waren zahlreiche Christen getötet oder verwundet worden.

Durch die Revolution, die am 11. Februar 2011 mit dem Rücktritt von Präsident Hosni Mubarak endete, rückten Muslime und Christen im Kampf gegen den verhassten Diktator vorübergehend eng zusammen. Zu ihren Forderungen zählten ein Ende der Korruption, Lösungen gegen die strukturelle Armut und die grassierende Arbeitslosigkeit. Nach dem Umsturz kühlten die Beziehungen jedoch schnell wieder ab. Radikale Muslime gingen als Sieger aus den Parlamentswahlen vom 25. Oktober 2011 hervor. Insgesamt verschlechterte sich die Lage der Christen im Jahr 2011; die Anzahl der Morde und tätlichen Angriffe stieg deutlich an, außerdem kam es verstärkt zu Übergriffen gegen Kirchen und Häuser von Christen.

Islamisierung nimt weiter zu

Während der Herrschaft von Präsident Mubarak war die Unterdrückung von Kirchen allgegenwärtig. Sie äußerte sich primär durch eine extrem restriktive Handhabung der Frage von Renovierungen oder Neubauten von Kirchen. Während die Übergriffe vonseiten fanatischer Bewegungen aus dem Umfeld der Salafisten (einer islamisch-extremistische Gruppe, die zu einem "reinen"" Islam wie zu Zeiten ihres Propheten Mohammed zurückkehren will und bei der Parlamentswahl im Oktober 2001 insgesamt 25% der Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte) 2012 fortgesetzt wurden, zeichnen sich weitreichende politische Veränderungen ab. Mittlerweile stehen die legislative wie auch die exekutive Gewalt unter der Kontrolle der Muslimbruderschaft (islamisch-extremistische Gruppierung, die eine striktere Version der Scharia in Ägypten einführen will und die bei der Parlamentswahl etwa 40% der Abgeordneten und mit Mohammed Mursi auch den Präsidenten stellt).


Der Islam tritt immer deutlicher zutage. Das ganze Land unterliegt einem Prozess der Islamisierung, die Furcht vor extremistischen Muslimen wächst. Die Muslimbruderschaft unternimmt zügige Schritte, um auch die Kontrolle über die Justiz, die Presse und die Armee zu gewinnen.

Mit dem für 2013 erwarteten Inkrafttreten der neuen Verfassung befürchten wir für die Lage der Christen eine weitere Verschlechterung. Die Regierung von Präsident Mursi war bislang nicht in der Lage, für Recht und Ordnung im Land zu sorgen – auch und vielleicht sogar vor allem zum Schaden der Christen.

Würde man ihnen politische und bürgerliche Rechte zugestehen, so würde dies eine substantielle Verbesserung für die Christen bedeuten. Eine solche Entwicklung scheint im heutigen Ägypten jedoch sehr unwahrscheinlich, zumindest solange die regierenden Islamisten sich weiterhin auf den Rückhalt weiter Teile der Bevölkerung stützen können.

Die Gewalt religiöser Splittergruppen hat zugenommen. Mittlerweile ist die Hauptursache von Verfolgung nicht mehr in der Paranoia eines Diktators zu suchen, sondern in islamischem Extremismus.

Entwicklungstendenzen für Ägypten

Ägypten bewegt sich auf eine Periode politischer Instabilität und Unsicherheit zu. Dies werden in erster Linie junge und arbeitslose Menschen zu spüren bekommen, besonders aber die christliche Minderheit, weil sie in der politischen Umbruchsituation keine Stimme hat.

Da vielen Jugendlichen keine politischen Antworten auf die drängenden Probleme des Landes angeboten werden, suchen sie Zuflucht in der Religion und sind damit anfällig für radikale Ausdrucksformen des Islam. Die Kombination aus verbreiteter Armut, hoher Arbeitslosigkeit, Analphabetismus und einer Bildungsmisere sorgt dafür, dass weite Teile der Bevölkerung sehr empfänglich sind für die Botschaft islamischer Fundamentalisten – ein idealer Nährboden für Extremismus. Die zahlreichen arbeitslosen Jugendlichen lassen sich leicht gegen die Christen mobilisieren.


Während der Islam die Kultur des Landes zunehmend bestimmt, wächst ein Gefühl der Ablehnung gegenüber Christen. Die koptische Kirche besteht seit nahezu 2000 Jahren in Ägypten, aber selten in ihrer Geschichte war die Ablehnung und alltägliche Diskriminierung so groß wie jetzt. Gleichzeitig zeigt eine überschaubare Gruppe ägyptischer Muslime Interesse am Evangelium und die Gemeinde wächst – wenn auch sehr langsam.

Die Zukunft Ägyptens wird entscheidend durch politische Elemente bestimmt werden. Zwei neue Akteure auf der politischen Bühne haben eine starke islamistische Identität: Die Muslimbruderschaft und die Salafisten, die zusammen das neugewählte Parlament kontrollieren. Der begonnene Reformprozess schließt den Entwurf einer neuen Verfassung ein. Sie wird das Wesen des ägyptischen Staates von Grund auf neu prägen und könnte dabei auch die Rolle der Armee neu definieren. Den Auftakt dazu bildete die Ablösung von General Tantawi, wodurch der mächtige Militärrat kaltgestellt wurde.

Die einzig denkbare Alternative zum Islamismus, soweit unsere Analyse der bedeutsamen politischen Kräfte im Land und der aktuellen Trends erkennen ließ, wäre eine Weiterführung des autokratischen Regimes. Dies hängt allerdings wesentlich von der Frage ab, ob die Armee in der Lage und willens sein wird, ihre Machtposition zu halten und/oder eine Übereinkunft mit der Muslimbruderschaft zu treffen. Eine solche Entwicklung würde allerdings einhergehen mit fortgesetzten Einschränkungen der Religionsfreiheit und damit keinen Verbesserungen für die christliche Gemeinde. Ein Szenario, bei dem die Gemeinde sich parallel zum wachsenden Einfluss des Islam auf die Gesellschaft einer "Dhimmisierung" unterwerfen muss, scheint im Licht der jüngsten Entwicklungen jedoch wahrscheinlicher.

Die jüngsten Entwicklungen des Berichtszeitraumes deuten ebenfalls in diese Richtung: dass Präsident Morsi zunächst die Gewaltenteilung faktisch aufgehoben und quasi im Handstreich versucht hat, eine islamisierte Verfassung durch das Parlament zu bringen, zeigt das Bemühen der Muslimbrüder und Salafisten, ihre Machtstellung zu festigen und auszubauen. Ob der Widerstand von liberalen Kräften und der christlichen Minderheit hieran etwas ändern kann, lässt sich nicht vorhersagen.

 Open Doors